„Plötzlich. Bürger. Meister“ heißt sein Buch, in dem er die Ereignisse vom 25. Januar 2019 bis zum 16. Juni 2019, dem Tag der Stichwahl, schildert. Im Ostflügel von Schloss Bothmer hat er am 25. September 2020 daraus gelesen. 73 Zuschauer waren dabei. Aufgrund der Corona-Auflagen konnten nicht mehr Karten verkauft werden.
Mit Maske im Gesicht und viel Abstand zueinander lauschten die Zuhörinnen und Zuhörer der packenden Geschichte des jungen Wahlkämpfers und jetzigen ehrenamtlichen Bürgermeisters. Er ist selbstständiger Bestattungsunternehmer, seit 2018 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und kennt Boltenhagen seit seinem 5. Lebensjahr. „Meine Eltern haben dort oft Urlaub gemacht, ich habe schon als Kind am Boltenhagener Strand und auf dem Kinderspielplatz gespielt und bin durch den Urwald marschiert“, erzählt er. Ursprünglich kommt Wardecki aus Detmold in Nordrhein-Westfalen und hat seine Firma jetzt in Lübeck.
Mit einem auffälligen grünen Lastenfahrrad mit Elektroantrieb fuhr der neue Bürgermeisterkandidat in der Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2019 durch Boltenhagen und zog viel Aufmerksamkeit auf sich. Er ging persönlich von Tür zu Tür, besuchte Ladengeschäfte und Gewerbetreibende, nahm an vielfältigen gesellschaftlichen Aktivitäten wie zum Beispiel am Seniorencafé oder am Wirtschaftsstammtisch teil. Innerhalb weniger Monate avancierte der politische Nobody so zum bekannten und ernstzunehmenden Kandidaten. Aus dem Stand holte er bei der Kommunalwahl am 26. Mai 2019 38 Prozent der Stimmen und entschied die Stichwahl am 16. Juni 2019 mit 30 Stimmen gegen den bisherigen Amtsinhaber Christian Schmiedeberg von der CDU für sich. In die Gemeindevertretung wurden erstmalig drei weitere Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen gewählt.
In seinem Buch erzählt er von diesen aufregenden Monaten der Umtriebigkeit, vom schweren Start, von Gerüchten und Vorurteilen, vom Kandidatenduell und von Niederlagen. Vor der Wahl wurden gezielt Gerüchte gestreut. „Zum Beispiel, dass ich von der Immobilienbranche hierher geholt worden sei oder dass ich den Zeugen Jehovas angehöre“, so Wardecki. Auch dass sein Vater, von Beruf Steinmetz, die Nixe gefertigt hätte, die vor einigen Jahren plötzlich auf einem Stein am Strand von Redewisch auftauchte, zum Besuchermagnet wurde und nach Streitigkeiten über die kommerzielle Nutzung über Nacht wieder verschwand. „Dies haben die Leute geglaubt, mir hat das geschadet. Ich habe mich aber entschieden, diese Gerüchte nicht öffentlich zu dementieren, um sie nicht noch mehr zu befeuern. In persönlichen Gesprächen habe ich dann versucht, diese Unwahrheiten und Vorurteile auszuräumen.“
Im anschließenden Autorengespräch wollte die Verlegerin Barbara Stierand unter anderem wissen, warum er das Buch geschrieben habe, oder auch, ob er noch verliebt sei. „Es war eine emotional sehr bewegende Zeit, für mich hat ein vollkommen neuer Lebensabschnitt begonnen. Das habe ich niederschreiben wollen, und viele Menschen haben sich das gewünscht“, so Wardecki. Ja, und verliebt sei er auch noch, in eine Mecklenburgerin, die in Boltenhagen wohne und dort sozial engagiert sei. Auch persönliche Dinge kamen zur Sprache wie sein Verhältnis zum Tod und zur Sterblichkeit oder die Beziehung zu seinem Vater.
„Nächstes Jahr möchte ich für den Landtag kandidieren, für Listenplatz zwei“, kündigte er an. „Das lässt sich mit dem Amt als Bürgermeister vereinbaren, und an dieser Stelle könnte man auch für Boltenhagen mehr bewegen.“ Seinen Beruf als Bestatter und die Arbeit als Bürgermeister bringt er nur dank guter Mitarbeiter unter einen Hut. „Momentan arbeite ich mehr als 40 Stunden pro Woche als Bürgermeister, viel im Homeoffice, abends oder am Wochenende.“
Die Lesung war die letzte Veranstaltung des 17. Klützer LiteraturSommers und eine gemeinsame Veranstaltung des Literaturhauses „Uwe Johnson“ und seines Fördervereins. Sein Honorar hat Raphael Wardecki dem Förderverein zur Verfügung gestellt. Das Buch ist erhältlich unter
Fotos: Anja-Franziska Scharsich